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KÖNNEN WIR DEN KREBS BESIEGEN?

Impfungen und Immuntherapien sind keine Wunderwaffen. Aber sie können Tumore verschwinden lassen oder ihr Wachstum bremsen. Prof. Dr. Niels Halama erklärt, welche Entwicklungen es gibt.

Interview: Antoinette Schmelter-Kaiser // Fotos: AdobeStock, Science Photo Library, privat // Datum: 09.10.23

Die Medien sind voll mit vielversprechenden Berichten zur Krebsimpfung. Können wir Krebs damit verhindern?

Der im Mai verstorbene Harald zur Hausen hat den Nobelpreis für die Entdeckung des Zusammenhangs zwischen Humanen Papillomviren (HPV) und Gebärmutterhalskrebs bekommen. Er wirkte aktiv an der Entwicklung der HPV-Impfung mit. Wie eine klassische Vorsorgeimpfung verhindert sie, dass eine Erkrankung auftaucht, also durch HPV ein Tumor entsteht. Im Prinzip ist das bereits eine „Krebsimpfung“.
Anders ist es bei der mRNA-Krebsimpfung: Sie verhindert nicht das Auftreten eines Tumors, sondern soll dafür sorgen, dass ihn das Immunsystem erkennt und attackiert. In dem Fall schützt die Impfung also ni
cht vor einer Erkrankung, sondern ist eine Therapie, die die bereits existierende Erkrankung zurückdrängt.

Außer Krebsimpfungen sind Immuntherapien ein Topthema in der Krebsforschung. Was ist der Unterschied?

Immuntherapie umfasst alles, was mit Veränderungen am Immunsystem zu tun hat. Im immunonkologischen Bereich geht es um Tumorbehandlung z. B. mit Checkpoint-Inhibitoren oder einer CAR-T-Zell-Therapie (s. Glossar rechts). Die mRNA-Krebsimpfung ist ein Bestandteil dieses Repertoires. Mit ihr kommen wir in die nächste Ära, in der es darum geht, den Einzelpatienten und -tumor hochpersonalisiert behandeln zu können – Immuntherapie hoch zwei.

Müssen Patienten sich zwischen einer Immuntherapie und mRNA-Krebsimpfung entscheiden?

Wenn man sich das Immunsystem als eine komplexe Maschine vorstellt, gibt es bei Tumorerkrankungen an verschiedenen Stellen Probleme. Das heißt, es fehlt nicht nur Benzin im Tank oder die Kolben klemmen, sondern es können mehrere Schwierigkeiten gleichzeitg sein. Damit die Maschine wieder läuft, muss man mit verschiedenen Methoden zu Werke gehen. Wir haben viele Möglichkeiten und müssen herausfinden, was in welchem Fall Sinn macht – und das gegebenenfalls vor, mit oder nach einer Strahlen- und Chemotherapie.

Also erübrigen Immuntherapie und Krebsimpfungen die bisherigen Behandlungsformen Bestrahlung,
Chemotherapie und Operation nicht?

Ich würde nicht behaupten wollen, dass onkologische Immuntherapien alles andere ersetzen werden. Die Kunst ist, den Nutzen und Effekt der einzelnen Behandlungsmethoden so geschickt miteinander zu verknüpfen, dass es für den Patienten optimal ist.

Welche Heilungserfolge versprechen onkologische Immuntherapien aktuell?

Wir haben Verläufe, wo ein Tumor verschwindet und nicht mehr wiederkehrt. Außerdem solche, bei denen er zwar noch zu sehen ist, aber über Jahre nicht mehr weiterwächst. Das bedeutet eine Quasi-Heilung.

Prof. Dr. Niels Halama leitet am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ) die Abteilung Translationale Immuntherapie und als Oberarzt seit 2015 die Gruppe Adaptive Immuntherapie am Nationalen Centrum für Tumorerkrankungen (NCT) in Heidelberg. Gemeinsam mit den BioNTech-Gründern Özlem Türeci und Uğur Şahin bildet er das Scientific­­ Management Board am Helmholtz Institut für ­translationale Onkologie.

Entsprechend hohe Erwartungen dürften Patienten haben. Ist ihre Hoffnung immer berechtigt?

Bei dem Standard-Checkpoint-Inhibitoren-Verfahren, das schon bei vielen Krebserkrankungen eingesetzt wird, haben zwischen 30 und vielleicht 50 Prozent der Patienten davon einen Nutzen, zwei Drittel bis die Hälfte wenig oder keinen. Anderen Patienten müssen wir leider sagen, dass ihr Tumor gar nicht mit einer Immuntherapie behandelbar ist. Sie ist keine Wunderwaffe, die allen hilft.

Mit welchen Nebenwirkungen ist bei einer Immuntherapie zu rechnen?

Die meisten Patienten haben weit weniger Nebenwirkungen als bei einer Chemotherapie. Aber wenn es zu Nebenwirkungen kommt, besteht die Gefahr, dass diese schnell und stark auftreten; Entzündungen in Organen können außer Rand und Band geraten. Das muss man umgehend behandeln und Patienten engmaschig überwachen. Insgesamt geht es darum, das Immunsystem schärfer und schlagkräftiger gegen den Tumor zu machen, aber nicht gegen den Körper – ein schmaler Grat!

Neue Behandlungsmethoden müssen ausgiebig erprobt werden. Lohnt es sich für Patienten, an einer Studie teilzunehmen?

Eine experimentelle Therapie stellt ein gewisses Risiko dar. Aber im Schnitt kann man sagen, dass Studienteilnehmer überdurchschnittlich oft einen Nutzen davon haben. Das liegt auch an strengen Regularien für den Einsatz in einer Klinik. Außerdem bedeutet die Teilnahme an einer Studie für Patienten eine sehr engmaschige Betreuung, die schon für sich einen hohen Wert hat.

Natürliche Killerzellen existieren im angeborenen wie im erworbenen Immunsystem. Sie sind grundsätzlich in der Lage, Tumorzellen abzutöten.

Sie arbeiten sowohl in der Forschung als auch in der Klinik. Sind für Sie diese Bereiche gleich wichtig?

Für mich ist es ein großer Vorteil, beide auf kurzem Weg zu verbinden. Denn der Informationsgewinn über Patienten ist sehr hoch. Statt auf Modelle zurückgreifen zu müssen, lässt sich in der Praxis besser und schneller verstehen, was bei einer Krebserkrankung und -behandlung passiert.

Bei aufwendigen Untersuchungen fallen große Datenmengen an. Können künstliche Intelligenz (KI) und superschnelle Quantencomputer die Auswertung stark beschleunigen?

Wir haben immer mehr, immer komplexere Daten und müssen uns fragen, wie wir mit diesen umgehen. KI und Quantencomputing sind wichtige Werkzeuge. Aber jenseits des Hypes braucht man gezielte Fragestellungen, damit sie ihren Nutzen entfalten können.

Haben Sie damit gerechnet, dass sich die onkologische Immuntherapie so erfolgreich entwickeln würde?

In meiner Anfangszeit wurde ich ausgelacht. Es galt als esoterischer Quatsch, dass bei Krebs etwas mit irgendwelchen Immunzellen passiert. Es waren nur wenige Mutige, die trotzdem an dem Thema dran geblieben sind – darunter auch Uğur Şahin und Özlem Türeci von BioNTech, die ich gut kenne und mit denen ich zusammenarbeite. Aber auch vom Kreis der Begeisterten hatte niemand auf dem Schirm, dass es so einen raketenartigen Fortschritt geben würde.

Noch sind mRNA-Impfungen keine Routine. Wann werden sie in der allgemeinen Praxis anwendbar?

Es passiert in diesem Bereich so viel und schnell wie noch nie. Im Vier-Wochen-Intervall sind neue Karten auf dem Tisch. Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie wir mit diesen Methoden verfahren wollen, welche Kosten sie aufwerfen, wo und bei wem sie angewendet werden. Hochkomplexe Therapien sind sehr teuer und man braucht Fachpersonal, das entsprechend ausgebildet und spezialisiert ist.

Glauben Sie, dass irgendwann eine vorbeugende Krebsimpfung möglich sein wird?

Das ist eine schöne Vorstellung, erscheint mir aber noch nicht greifbar. Denn jede Krebserkrankung ist hochpersonalisiert. Man kann nicht sagen, dass alle Brustkrebspatienten dieses und jenes gemeinsam haben. Ich sehe – in die Zukunft geblickt und spekuliert – eher eine Chance darin, einen entstehenden Tumor anhand der Veränderungen des Immunsystems zu erkennen.

Sie gelten als Koryphäe im Bereich Immunonkologie und sind an wegweisenden Forschungen und Behandlungen beteiligt. Wie fühlen Sie sich in dieser Rolle?

Es ist fantastisch, sich in einem solchen Bereich zu bewegen, neue Behandlungsarten zu entwickeln und diese aus dem Labor in die Klinik zu transferieren, wo Patienten davon profitieren. Das ist ein gigantischer Motivator und den wenigsten vergönnt. Aber man kann sich nicht auf seinen Lorbeeren ausruhen. Wir haben noch viele Baustellen, auf denen man Dinge weiterentwickeln und bewegen kann. Das ist und bleibt ein sehr spannender Weg.

„Ich sehe die Chance, einen Tumor an Veränderungen im Immunsystem zu erkennen.“


KLEINES GLOSSAR AUS DER ONKOLOGIE.

Checkpoint-Inhibitoren

Immuncheckpoints sind Kontrollpunkte des Immunsystems. Sie verhindern, dass das Immunsystem körpereigene Zellen angreift. Medikamente namens Immuncheckpoint-Inhibitoren oder -Hemmer können diese Bremse lösen und das Immunsystem im Kampf gegen Krebs aktiver machen.

CAR-T-Zell-Therapie

T-Zellen können infizierte oder entartete Körperzellen bekämpfen. Bei Krebspatienten werden sie nach einer Blutentnahme isoliert und gentechnisch so verändert, dass sie spezifische Tumorzellen erkennen, an ihnen andocken und sie zerstören können. Danach erhalten Patienten die aufbereiteten CAR-T-Zellen per Infusion zurück.

mRNA

„Messenger RNAs“ funktionieren als Boten, die Baupläne für Proteine von der DNA zu den Ribosomen bringen. Ribosome sind Bestandteile von Zellen, die Proteine herstellen. Für mRNA-Krebsimpfungen wird ein Tumor auf Merkmale untersucht, die seine Zellen von gesunden unterscheiden. Diese werden in mRNA übersetzt und Patienten als Impfung verabreicht. Das Immunsystem wird dabei so trainiert, dass es bestimmte Krebsarten erkennt und Antikörper dagegen produzieren kann.

Quantencomputing

Quantencomputer können parallel eine Vielzahl an Rechenaufgaben und Problemen lösen, die für klassische Computer zu komplex sind.


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