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„VIREN SIND MIT SOFTWARE VERGLEICHBAR.“

Viele Viren sind harmlos, manche sind sogar hilfreich, andere lösen Pandemien aus. Wie können wir uns bzw. unser Immunsystem effektiv gegen gefährliche Viren wappnen? Antworten von Prof. Dr. Ralf Bartenschlager und ein Blick in die Welt der Virologie.

Interview: Karen Cop // Fotos: Shutterstock, privat

Viren sind winzig, haben keinen eigenen Stoffwechsel und können sich nicht selbstständig vermehren. Warum können sie uns trotzdem gefährlich werden?

Viren sind mit Software vergleichbar und der Mensch ist quasi der Computer. Die Software kann nicht funktionieren, bis ich sie im Computer installiere. Ist es eine Schadsoftware, kann der Computer darunter leiden; mit einer guten Software funktioniert er vielleicht noch besser als vorher. Dementsprechend brauchen Viren zu ihrer Vermehrung immer eine lebende Zelle, von der sie sich nehmen können, was ihnen fehlt. Die Konsequenz für die Zelle ist, dass das Virus sie zum Teil zu Dingen zwingt, die ihr nicht guttun. Wenn wir Zellen im Labor mit Coronaviren infizieren, sind sie 24 bis 48 Stunden später tot.

Influenza-, Corona- und Flaviviren haben die größten Epidemien nach dem Mittelalter verursacht – welche Gemeinsamkeiten haben sie?

Sie kommen alle aus dem Tierreich. Die Tiere müssen nicht darunter leiden, z. B. erkranken Fledermäuse nicht an Corona. Doch die Rezeptoren (s. ABC, nächste Seite) von Fledermaus und Mensch ähneln sich und Viren können sich anpassen. Daher besteht immer die Möglichkeit, dass ein neues Virus in die Menschheit eindringt. Wir Virologen sprechen von „Zoonosen“. Bei SARS-CoV-2 hatten wir seit dem Ausbruch Anfang 2020 mehrere Varianten. Influenza-, also Grippeviren, kommen häufig von Geflügelarten oder Schweinen. Denken Sie an die Schweinegrippe, eine große Pandemie im Jahr 2009! Auch das Zika-Virus, das bei Ungeborenen zu Missbildungen geführt hat, erregte großes Aufsehen. Diese zoonotischen Viren konnten sich sehr schnell an die menschlichen Zellen anpassen und leicht übertragen werden.

Ob Viren stark krank machen oder nicht, ist eine individuelle Eigenschaft des Virus. Das Zika-Virus läuft bei den meisten Menschen harmlos ab. Viele merken die Infektion gar nicht, sind danach aber immun. Während andere Viren, wie das Sars-Virus und bestimmte Influenzaviren, zu schweren Erkrankungen führen können, vor allem bei immungeschwächten Menschen. Außerdem macht es einen Unterschied, ob ein Virus neu ist oder wir es schon seit Jahrzehnten in der menschlichen Bevölkerung haben und bereits eine Gruppenimmunität besteht.

Hepatitis C ist eine stille Epidemie und weltweit verbreitet. Es belastet die Menschen und ihre Gesundheitssysteme sehr, weil es chronisch wirkt. Unser Immunsystem kann das Virus nicht besiegen. Warum?

Eine Reihe von Viren hat spezielle Tricks, um die Immunantwort gegen das Virus zu unterwandern oder sich in Körperregionen zu verstecken, die vom Immunsystem nicht oder nur schlecht erreicht werden. Das Hepatitis-C-Virus zählt dazu. Es ist mit das variabelste Virus, das wir Virologen kennen. Ein Patient mit chronischer Hepatitis produziert 1012  Viren – das sind eine Billion Viruspartikel – täglich! Sie werden jeden Tag abgebaut und neu gebildet.

Rein statistisch gesehen, hat jedes dieser Viren mindestens einen genetischen Austausch, das heißt, es entstehen auch eine Billion Virusvarianten pro Tag. Dass darunter immer Varianten sind, die dem Immunsystem entkommen, ist leicht verständlich. Das erschwert es ihm extrem, Hepatitis C anzugreifen, und wir erleben eine chronische Infektion.

Die sich vor allem an der Leber zeigt und zu Leberkrebs führen kann. Warum gerade dort?

Alle fünf Hepatitis-Viren finden dort Zellbedingungen vor, die sie für ihre Vermehrung benötigen. Hepatitis B, C und D können dem Immunsystem entkommen und eine chronische Infektion auslösen. Diese führt zum Untergang von Leberzellen. Der Körper versucht das auf zweierlei Weisen zu kompensieren: Zum einen werden neue Leberzellen gebildet, zum anderen lagert er übermäßig Bindegewebe ab, das mit der Zeit vernarbt. Deshalb schrumpft die Leber über die Jahre und man spricht von einer Zirrhose. Wenn diese weit fortgeschritten ist, kann sie ihre vielfältigen Aufgaben nicht mehr erfüllen: die Umwandlung von Giftstoffen in ungiftige Substanzen und die Herstellung von lebenswichtigen Stoffen. Die Menschen brauchen eine Transplantation, um nicht an Leberversagen zu sterben.

 


KLEINES ABC DER VIROLOGIE.

Antigen: Bezeichnung für Bakterien, Viren und Pilze.

Antikörper: Sie sind die Immunantwort auf Antigene.

Rezeptoren: Zellen, die Signale weiterleiten und auch für Viren eine Eintrittspforte in den Körper sein können.

Coronaviren: Der Erreger-Name für COVID-19 ist SARS-CoV-2.

Flaviviren: Sie werden durch Mücken oder Zecken übertragen und führen z. B. zu Gelbfieber oder Frühsommer-Meningoenzephalitis (FSME).

Influenzaviren: Durch Tröpfchen (z. B. beim Niesen) übertragen, lösen sie unterschiedliche, saisonale Grippen aus.

HPV: Humane Papillomviren nisten sich wie Herpesviren chronisch im Körper ein und können Tumore auslösen.

T-Zellen: Die T-Lymphozyten spielen bei der Immunantwort eine wichtige Rolle, weil sie es dem Immunsystem ermöglichen, Abwehrzellen gegen Eindringlinge herzustellen.

Zoonotische Viren: Viren, die Zoonosen auslösen können. Das sind Krankheiten, die sowohl bei Menschen als auch bei Tieren vorkommen und von Tier zu Mensch und/oder von Mensch zu Tier übertragbar sind.

 


Dann wirken Hepatitis B, C und D ähnlich wie chronischer Alkoholkonsum?

Im Prinzip ja, denn es wird eine chronische Entzündungsreaktion in Gang gesetzt. Bei einer Infektion gibt es eine Immunantwort, die T-Zell-Antwort, über die auch bei SARS so viel gesprochen wird. Sie greift die infizierten Zellen an und führt zu deren Zerstörung, womit dem Virus die Vermehrungsgrundlage entzogen wird. Mit der Zeit führt diese Immunantwort zur Zerstörung der infizierten Zellen und durch die schon genannte erhöhte Zellteilung können sich in dieser Entzündung krebsauslösende Mutationen bilden.

„Viele Viren haben Tricks, um die Immunantwort zu unterwandern oder sich zu verstecken.“

Was ist der wichtigste Unterschied zwischen einem Virus, das eine Tumorbildung auslösen kann, verglichen mit Grippe- oder Coronaviren?

Eine akute Infektion wie bei Grippe- und Coronaviren wird irgendwann vom Immunsystem kontrolliert oder man stirbt daran. Praktisch alle Viren, die beim Menschen mit Krebs assoziiert sind, können chronisch werden. Die Viren nisten sich dauerhaft im Körper ein. Beispielsweise Warzen bedingt durch Papillomviren sind letztendlich nichts anderes als ein kleiner, gutartiger Tumor. Vor bösartigen Genitalwarzen kann uns eine HPV-Impfung schützen.

Könnte es in Zukunft umfunktionierte Viren geben, die Tumorzellen entern statt gesunder Zellen, um an Krebs erkrankten Menschen zu helfen?

Man kann bereits Viren mithilfe biotechnologischer Verfahren umbauen, z. B. Herpesviren. Sie können so umprogrammiert werden, dass sie zielgerichtet bestimmte Tumortypen infizieren und sich in den Tumorzellen vermehren. Das hat zwei Vorteile: Die Tumorzelle wird zerstört und bei der Zellzerstörung werden Krebsantigene freigesetzt. Wenn diese vom Immunsystem erkannt werden, löst das eine Immunantwort aus. Diese ist bei der Bekämpfung des Tumors letztlich entscheidend.

Prof. Dr. Ralf Bartenschlager ist Direktor der Abteilung Molekulare Virologie am Zentrum für Infektiologie des Universitätsklinikums Heidelberg (UKHD), Sprecher des Schwerpunkts „Infektionen, Entzündungen und Krebs“ am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ), Präsident der Deutschen Gesellschaft für Virologie, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats des Robert Koch-Instituts (RKI), Mitglied der Nationalen Akademie der Wissenschaften (Leopoldina) und der European Molecular Biology Organization (EMBO). Er wurde mit vielen Preisen geehrt, z. B. dem Lasker-Preis und dem Ernst Jung-Preis für Medizin 2022 für Forscher, „die mit ihren Projekten wesentlich zum Fortschritt der Humanmedizin beigetragen haben und dies auch in der Zukunft erwarten lassen“.

Dann kann das Immunsystem Krebszellen zerstören?

Richtig, die Krebsantigene lösen eine anhaltende Immunantwort aus.

Ist das die sogenannte Krebsimpfung?

Krebsimpfung wird oft missverständlich formuliert, als wäre das eine mittelbare Impfung gegen Krebs. Was häufig darunter verstanden wird, ist eine Impfung gegen die Infektion von Viren, die Tumore auslösen.

Also beispielsweise Humane Papillomviren (HPV)?

Ja. Die Viren alleine sind keine Auslöser für Krebs, aber sehr wichtige Co-Faktoren. Aber ein Patient mit Hepatitis C oder HPV-Infektion muss keinen Tumor bekommen. Er hat jedoch ein deutlich erhöhtes Risiko für Leberkrebs oder Zervixkarzinom. Dazu kommen äußere Einflüsse wie Stress und Alkohol, die es nochmals erhöhen.

Als SARS-CoV2 aufkam, waren Lockdowns sinnvoll, doch die Pandemie konnte nicht gestoppt werden. Was konnten bzw. können wir für die Zukunft lernen?

Aus heutiger Sicht können wir etwas entspannter sein. Der Großteil der Bevölkerung ist geimpft und die aktuell kursierenden Coronavarianten sind weniger pathogen als die ersten. Wir haben gelernt, dass wir einheitliche Pandemiepläne brauchen, die nicht von einer Stadt zur nächsten variieren, sowie eine bessere Kommunikation. Das Rad muss nicht immer wieder neu erfunden werden. Für die Zukunft wünsche ich mir weniger Aufgeregtheit und ein Verständnis dafür, wie Wissenschaft funktioniert.

Kann die Therapeutika-Entwicklung in Zukunft für kommende Wellen beschleunigt werden?

Mit Antikörpern können wir relativ schnell reagieren, doch bei einem wandlungsfähigen Virus verlieren diese schnell an Wirksamkeit, wir brauchen ständig neue. Trotzdem sind Antikörper für die Zukunft ein ganz wichtiger Baustein, um besser vorbereitet zu sein. Allerdings braucht Wirkstoffentwicklung ihre Zeit. Deswegen müssen wir jetzt investieren und vorbeugend Ansätze entwickeln, die Breitbandwirkung haben, z. B. alle bisher bekannten Coronaviren abdecken.

Was können wir selbst tun, um unser Immunsystem für die nächste Pandemie zu wappnen?

Natürlich klassisch mit gesunder Ernährung, Sport im Freien, in den Wald gehen, ausgeglichen sein … Und wenn es um eine spezielle Erkrankung geht: impfen. Sei das jetzt mit der Grippeschutzimpfung für die Wintersaison oder die Impfung vor einer nächsten Corona-Welle. Eine Impfung ist ein Training des Immunsystems, weil dann eine Immunantwort entwickelt wird. Wir müssen lernen, mit dem Virus zu leben und nicht gegen das Virus.

 

„Eine Impfung ist ein Training des Immunsystems, weil dann eine Immunantwort entwickelt wird.“


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