Zum Content springen

GENDERMEDIZIN. DAS GESCHLECHT MACHT DEN UNTERSCHIED.

Krank ist nicht gleich krank. Viele Erkrankungen äußern sich bei Frauen anders als bei Männern – und müssen auch anders behandelt werden. Die Gendermedizin erforscht die Unterschiede.

Autorin: Dr. Andrea Exler // Fotos: iStock

Ein Herzinfarkt kündigt sich bei Frauen anders an als bei Männern. Der stechende Brustschmerz gilt zwar als bekanntes Symptom, er ist aber eine typisch männliche Begleiterscheinung, die bei Frauen kaum auftritt. Herzinfarkt-Patientinnen klagen eher über „unspezifische“ Beschwerden wie Bauch- oder Rückenschmerzen, Erschöpfung und Übelkeit. Und halten diese häufig für Lappalien! Noch immer erkennen zu viele Frauen die Symptome nicht und zögern im akuten Notfall, medizinische Hilfe zu suchen. Fatale Folge ist, dass Frauen zwar seltener einen Herzinfarkt erleiden, dieser aber öfter tödlich endet als bei männlichen Patienten.

DER MANN ALS REFERENZMENSCH.

Frau oder Mann – das Geschlecht spielt eine Rolle bei der Wahrscheinlichkeit, ob wir eine Krankheit bekommen, bei den Symptomen und schließlich auch bei der Wirkung der Medikamente, die wir dagegen einnehmen. Lange wurden geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin ignoriert. Praktisch erforscht wurde der vermeintliche Referenzmensch des mittelalten, 75 Kilo wiegenden Mannes. „Wenn man mal ganz provokativ ist, könnte man sagen, dass 50 Prozent der Menschheit eigentlich nicht verstanden sind. Und dass die Forschung, die bisher gelaufen ist für den sogenannten Einheitsmenschen, tatsächlich auf 50 Prozent der Bevölkerung nicht übertragbar ist“, erklärte Ute Seeland, die zum Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Geschlechtsspezifische Medizin gehört, im Norddeutschen Rundfunk.

Weibliche Versuchspersonen waren in Studien unbeliebt, weil hormonelle Schwankungen oder eine unerkannte Schwangerschaft Unsicherheitsfaktoren darstellen, die möglichst ausgeschaltet werden sollten. Für pharmakologische Tests ist es relevant, an welchem Punkt des monatlichen Zyklus eine Teilnehmerin steht, ob sie Hormonpräparate einnimmt oder sich bereits jenseits der Menopause befindet und ihr Körper somit die Produktion von Östrogenen eingestellt hat.

Erst vor etwa drei Jahrzehnten begannen Wissenschaftler, sich für die Auswirkungen biologischer Unterschiede auf Krankheitsverlauf und Behandlung zu interessieren. Den Anfang machte die Beobachtung der Verläufe von Herzinfarkten. Die US-Kardiologin Bernadine Healy veröffentlichte 1991 einen Fachartikel mit dem Titel „Das Yentl-Syndrom“. Ebenso wie sich in der Erzählung I. B. Singers das jüdische Mädchen Yentl als Junge verkleiden muss, um in die Religionsschule aufgenommen zu werden, sollten sich herzkranke Frauen besser als Mann ausgeben, um medizinisch angemessen versorgt zu werden, schrieb Healy.

WO HABEN MÄNNER DAS NACHSEHEN?

Gendermedizin bedeutet natürlich auch, dass Männer ebenfalls geschlechtsspezifisch behandelt werden müssen. So sind viele psychische Erkrankungen bei männlichen Patienten weniger erforscht. Diagnosen wie Depression oder Angststörung werden landläufig als Schwäche wahrgenommen und passen nicht ins klassische Männerbild. Auch von Brustkrebs oder Osteoporose betroffene Männer werden oft auf der Grundlage von „weiblichen“ Daten behandelt.

DIE WICHTIGSTEN GESCHLECHTSSPEZIFISCHEN UNTERSCHIEDE BEIM HERZINFARKT*.

MEDIKAMENTE WIRKEN UNTERSCHIEDLICH.

Meist ist es aber umgekehrt und es gibt weniger Daten über Frauen als über Männer. Die Rede ist von einem „Gender-Data-Gap“ – eine strukturelle Datenlücke, die vor allem die Arzneimittelforschung betrifft. Der Stoffwechsel und die Verteilung von Fett- und Muskelgewebe im Körper hat Einfluss auf die Wirkung von Medikamenten. So führt die gleiche Dosierung eines Wirkstoffs zu unterschiedlichen Konzentrationen im Blut. Die Gefahr einer Überdosierung bei Frauen ist daher hoch. Auch der Abbau dauert länger als im männlichen Körper. Im besten Fall bedeutet dies eine überflüssige Belastung des weiblichen Organismus, im schlimmsten Fall kann es gefährlich werden und unerwünschte Nebenwirkungen verstärken.

Erforscht wurden die unterschiedliche Dauer und Intensität bei gleicher Dosierung beispielsweise bei Verapamil (einem Wirkstoff, der bei Herzrhythmusstörungen eingesetzt wird). Auch frei verkäufliche und sehr verbreitete Arzneimittel sind betroffen, darunter Wirkstoffe, die schmerzlindernd und entzündungshemmend wirken wie Ibuprofen und ASS („Aspirin“). Diese unterdrücken bei Männern stärker den Schmerz und führen zu weniger Nebenwirkungen, sind aber bei Frauen weniger effektiv.

GENDERMEDIZIN KOMMT.

In den Hörsälen der medizinischen Fakultäten sind biologische Unterschiede zwischen den Geschlechtern bislang ein Randthema. Auch Lehrbücher für angehende Ärzte greifen die Problematik nicht systematisch auf. Doch das wird sich bald ändern: Eine neue Approbationsordnung soll ab 2025 die Gendermedizin in den Lehrplänen festschreiben und ihr Dasein als Nischenthema beenden. Denn nur, wenn künftige Generationen von Praktikern und Forschenden einen geschulten Blick auf unterschiedliche Bedürfnisse verschiedener Gruppen von Patienten werfen, kann sich die Gesundheitsversorgung für alle verbessern.

Aus diesem Grund führte die EU bereits zum 31.01.2022 eine verpflichtende repräsentative Verteilung von Geschlechtern und Altersgruppen in klinischen Studien ein. Max Mustermann ist nicht mehr das Maß der Dinge in der Pharmaforschung.


Herz-Gesundheit.

Wie ist das Herz aufgebaut, was tut ihm gut oder schadet ihm? Wissenswertes zum Thema Herzgesundheit erfahren Sie auf der Website Ihrer BMW BKK: www.bmwbkk.de/herzgesundheit. Und Ihr Herzalter bestimmen können Sie hier: www.herzalter-bestimmen.de


BMW BKK Gesundheit digital lesen.

JA, ICH WILL ONLINE LESEN!

Egal, ob Sie der Umwelt Papier sparen wollen oder es gewohnt sind, online zu lesen – ab sofort können Sie die GESUNDHEIT überall online lesen und sind immer aktuell informiert.

Online-Magazin abonnieren


Frau schreib auf ihrem Smartphone eine E-mail

Wie gefallen wir Ihnen?

Uns hat es große Freude bereitet, die GESUNDHEIT online zu gestalten. Da unser Online-Magazin neu ist, sind wir auf Ihr Feedback besonders gespannt und freuen uns über alles: Anregungen, Kritik, Lob… Bitte schreiben Sie uns an magazin@bmwbkk.de.

 

 


Die BMW BKK möchte Ihnen den bestmöglichen Service bieten. Dazu speichern wir Informationen über Ihren Besuch in sogenannten Cookies. Durch die Nutzung dieser Website erklären Sie sich mit der Verwendung von Cookies einverstanden. Detaillierte Informationen über den Einsatz von Cookies auf dieser Website erhalten Sie durch Klick auf „Mehr über die Verwendung und Ablehnung von Cookies“. An dieser Stelle können Sie auch der Verwendung von Cookies widersprechen und die Browsereinstellungen entsprechend anpassen.

Sie behalten die Kontrolle

Status der einzelnen Cookie-Kategorien