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Ein Krankenpflege-Roboter hält ein Tablett mir Medikamenten

DAS KRANKENHAUS DER ZUKUNFT.

Ein Strukturwandel im Krankenhauswesen muss sein. Die Experten diskutieren dazu. Wir wagen schon einen Blick in die Klinik 4.0.

Interview: Karen Cop // Fotos: AdobeStock, privat

Im Jahr 2020 haben die Krankenkassen rund 80 Milliarden Euro für Krankenhausleistungen ausgegeben, dazu kamen elf Milliarden Euro vom Bund zur Finanzierung der rund 1.900 Krankenhäuser in Deutschland. „Zu viel Geld für zu viele Kliniken“, mahnen Experten. Die Bürokratie sei schuld. Auch dass Kliniken Allrounder sein sollen für alle Fälle, diene weder dem Gesundheitswesen noch dem Patienten. Vor allem kleine Häuser arbeiten unrentabel, größere sind überfüllt, moderne Spezialkliniken fehlen, das Personal ist überarbeitet. Andere Stimmen halten dagegen, dass gerade in kleinen Kliniken Ärzte ausgebildet würden. Patienten fürchten im Notfall lange Wege. Kurz, die Diskussion ist voll im Gange. Fest steht nur: Ein Strukturwandel muss sein, damit das Krankenhauswesen zukunftsfähig und der Wunsch der Patienten nach exzellenter, moderner Behandlung möglich und bezahlbar wird. Wie könnte das Krankenhaus 4.0 aussehen?

FIKTION ODER nicht ganz ferne ZUKUNFT?

Die Entwicklung der technischen Möglichkeiten ist rasant: Genscheren, Bioprinting, Organe aus dem 3D-Drucker, um wenige Beispiele zu nennen. Wenn die Digitalisierung des Gesundheitswesens auch so schnell voranschreitet, könnten Ihre Daten schon vor Ihnen in der Klinik sein, übertragen von Smartphone oder Auto. Dort empfängt Sie ein Büro-Roboter und ein intelligentes Bett, das die Vitalfunktionen misst, während ein Arzt mit Ihnen spricht. Mithilfe künstlicher Intelligenz ist die Diagnose schnell gestellt. Wenn Sie operiert werden müssen, fährt das Bett in einen Saal mit einem OP-Roboter. Der Arzt schaltet virtuell Experten zu, die die OP als Team durchführen und den OP-Arm steuern, während ein Drucker Prothesen, nötige Haut oder passendes Blut herstellt. Danach bringen Ihr Bett und freundliche Pfleger Sie zur Erholung ins nahe Patienten-Hotel. ///

„ÜBERFLÜSSIG IST ALLES, WAS DEM WOHLERGEHEN DES PATIENTEN NICHT DIENT.“

Was ist zu bedenken, wenn die Krankenhäuser der Zukunft geplant werden? Was brauchen wir wirklich? Welche Fortschritte werden wir erleben? Diese Fragen stellten wir Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff.

Haben wir zu viele oder zu wenige Krankenhäuser?
Die Diskussion um die „richtige“ Anzahl von Krankenhäusern ist vordergründig. Letztlich geht es um die Neukonstruktion einer medizinischen Versorgungsstruktur: In dieser sollen Maximalversorger, Schwerpunkt-, Notfall- und Spezialkrankenhäuser kooperieren und in Netzen mit Ambulanzzentren und Hausärzten sowie Reha-Einrichtungen bereichsübergreifend zusammenarbeiten. Komplexe Krankheitsbilder wie in der Onkologie werden dann z. B. in Netzwerken versorgt, in denen hochspezialisierte Fachzentren mit Krankenhäusern und Ambulanzzentren zusammenarbeiten, gesteuert durch „Tumorboards“ (Expertenkonferenzen). Zunächst muss für die Ausrichtung des deutschen Gesundheitssystems der Zukunft die Grundsatzentscheidung getroffen werden, ob die Bevölkerung in vorwiegend zentralen oder eher dezentralen Strukturen versorgt werden soll.

Werden die Kosten in Zukunft steigen?
Einerseits ist medizinischer Fortschritt mit hohen Kosten für Forschung, Entwicklung und technischer Ausstattung verbunden, andererseits bietet die Personalisierung der Medizin auch Chancen für eine schnellere und effektivere Behandlung bei gleichzeitiger Kostensenkung. Dies wird sich die Waage halten. Kosten lassen sich im Gesundheitswesen nur senken, wenn man am „Überflüssigen“ spart. Überflüssig ist alles, was dem Wohlergehen des Patienten nicht dient, also in erster Linie Bürokratie und umständliche Organisationsabläufe. In diesem Zusammenhang gehört auch die Prüfungspraxis des Medizinischen Dienstes auf den Digitalisierungsprüfstand. Das bisherige Vergütungssystem für stationäre Leistungen auf Fallpauschalen-Basis war primär kostenorientiert. Die größte gesundheitsökonomische Innovationsherausforderung besteht deshalb darin, es in ein wertorientiertes System zu überführen, in dem nach Qualität bezahlt wird.

Was bedeutet mehr Qualität im Krankenhaus 4.0?
Das digitalisierte Krankenhaus 4.0 arbeitet fehlerfrei und entlastet das Personal von Verwaltungsaufgaben, sodass mehr Zeit für den Patienten verfügbar ist. Es ermöglicht mehr Qualität: Indikationsqualität, Prozessqualität sowie Ergebnisqualität auf hohem Niveau.

Brauchen wir mehr Spezialkliniken?
Dafür fehlt das Personal. Wir brauchen innovative Organisationskonzepte, durch die begrenzte Ressourcen im Netzverbund wirkungsvoll ausgenutzt werden. So können Operateure, die auf bestimmte Eingriffe spezialisiert sind, an verschiedenen Standorten operieren, an denen z. B. Pflegepersonal verfügbar ist. Dies ermöglicht eine orts-nahe Versorgung, d.h. die Medizin kommt zum Patienten.

Prof. Dr. Dr. Wilfried im Gespräch.
Universitäts-Prof. Dr. Dr. Wilfried von Eiff ist seit 2013 an der Handelshochschule Leipzig als Academic Director am Center for Health Care Management and Regulation für das Fachgebiet „International Health Care and Hospital Management“ zuständig. Zuvor war er Professor für Krankenhaus-Management an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.

Welche Probleme stellen sich Klinikmanagern?
Es gilt mehrere für die Bezahlbarkeit des Systems und die Sicherung der medizinischen Qualität zentral wichtige Herausforderungen zu meistern: die „digitale Transformation“ mit dem Ziel, die „Patientenreise“ fehlerfrei, unter Einschaltung der bestmöglichen Medizin-Experten, qualifiziert und bürokratiearm zu organisieren. Dazu gehört die Verfügbarkeit aller behandlungsrelevanten Patientendaten, wann immer und wo immer diese benötigt werden.
Zweitens lässt sich der Fachkräftemangel nur abbauen, wenn die Arbeitsbedingungen für die am Bett tätigen Berufsgruppen grundlegend verbessert werden. Dazu gehören familienfreundliche Arbeitszeiten, leistungsgerechtes Entgelt, Entlastung durch Technik, Verfügbarkeit von 24/7-Kita-Plätzen, Dienstwohnungen und Mobilitätshilfen. Drittens: Intelligente Beschaffungsstrategien sind gefragt. Es kann nicht sein, dass wegen fehlender Medikamente Behandlungszyklen in der Onkologie unterbrochen oder geburtshilfliche Abteilungen geschlossen werden.

Was kann man im internationalen Vergleich lernen?
Es gibt bereits Krankenhäuser, die patientenzentriert, medizinisch hochqualifiziert, mitarbeiterorientiert und wirtschaftlich geführt und organisiert sind. Sie pflegen eine Kultur der Augenhöhe zwischen Pflegekräften und Ärzten, in vielen Fällen getragen durch das Organisations- und Führungskonzept des „Magnet Nursing“. Diese Krankenhäuser sind nach dem Prinzip der „Heilungsfördernden Umgebung“ gestaltet, haben in arbeitsentlastende Technologien investiert, digitalisierte Arbeitsabläufe und einen bis zu 80-Prozent-Anteil an Einzelzimmern wegen des damit verbundenen Infektionsschutzes und der Möglichkeit, Patienten individuell zu behandeln.

Die „Best-in-Class-Hospitäler“ fallen auch auf durch ihre in die Gemeinde hineinreichende Versorgungsphilosophie. Ich kenne Krankenhäuser, die investieren in sog. dezentrale, in der Gemeinde verankerte „Präventionshäuser“, in denen Menschen lernen, wie sie ein gesundheitsförderndes Leben führen können, und in denen Patienten, die schwieriger zu versorgen sind, besser unterstützt werden können. Diabetiker, die an schlecht heilenden Wunden leiden, sind ein Beispiel. Sie könnten so unterstützt werden, dass teure und die Lebensqualität beeinträchtigende Folgeeingriffe wie Amputationen vermieden werden. Länder wie die Schweiz, Dänemark und Singapur entwickeln ihre Gesundheitssysteme in einer innovativen Form weiter, die Anlass für einen konstruktiven Dialog in Deutschland sein sollte.

Wie stellen Sie sich eine Klinik im Jahr 2050 vor?
Mit dieser Frage haben wir uns an der Handelshochschule Leipzig (HHL) bereits im Jahr 2014 intensiv auseinandergesetzt. Wir haben uns mit internationalen Experten getroffen und den Versorgungsansatz des „Boundaryless Hospital“ entwickelt. Dieses „grenzenlose Krankenhaus“ ist patientenzentriert, arbeitet fehlersicher und auf dem neuesten Stand des medizinischen Wissens. Es ist nach den Gestaltungsprinzipien des „Healing Environment“ gebaut und organisiert. In krankheitsspezifischen Versorgungsnetzwerken übernimmt das „BH“ die Rolle des koordinierenden Krankenhauses und bringt über telemedizinische Leistungsstrukturen die Medizin zum Patienten. Das „BH“ integriert als lokaler Campus die medizinisch-pflegerischen Leistungsangebote aller Bereiche. Die typischen internen Silo-Grenzen zwischen Berufsgruppen und Departments überwindet das „BH“ durch Anwendung eines „Wertorientierten Führungsmodells für die Gesundheitswirtschaft“.

Bis zum Jahr 2050 werden Diagnoseprozesse, Operationen und interventionelle Eingriffe in hohem Maß in einem ambulanten Rahmen durchgeführt werden. Die Unterbringung der Patienten erfolgt dann im Patienten-Hotel und Prothesen werden patientenindividuell digital unterstützt im 3D-Drucker produziert. ///


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