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BIOPRINTING. VISION UND WIRKLICHKEIT.

Prothesen und andere „Ersatzteile“ aus dem 3D-Drucker gibt es schon. Werden wir in Zukunft sogar Organe drucken können?

Text & Interview: Karen Cop // Fotos: Erik Isakson/getty, beresfotografie, privat

 

Menschliches aus dem Drucker? Die Idee und Umsetzung ist nicht so neu, wie Sie vielleicht denken: Den ersten 3D-Drucker entwickelte Chuck Hall in den 1980er-Jahren. Seitdem revolutioniert die „additive Fertigung“ fast alle Bereiche unseres Lebens, insbesondere die Medizintechnik. Zahnkronen, passgenaue Instrumente, individuelle Hüftprothesen werden längst „gedruckt“ und für medizinische Behandlungen genutzt. Der Vorteil ist enorm. Betrachten wir ihn einmal an einer Hüfte, an der zur Behandlung der Hüftarthrose meistens ein künstliches Standardmodell eingesetzt wird; ein 3D-gedrucktes Hüftgelenk passt dagegen perfekt. Es wird nach einer 3D-Analyse des Beckens und entsprechender Programmierung des Druckers mit AutoCAD-Software passgenau für den einzelnen Patienten erstellt. Der 3D-Drucker formt aus flüssigen und festen Materialien, die natürlichen Knochen so weit wie möglich ähneln, eine Individualprothese. Noch ist diese teuer, der Druckvorgang aufwendig, aber das wird sich in Zukunft ändern.

Biotinte für menschliches Gewebe.

„Biotinte“ ist ein weiteres wichtiges Stichwort. Sie entscheidet, was aus dem Drucker kommt: ein Hüftgelenkkopf aus Metall oder ein natürliches Gewebe mit Zellen? Die Hoffnung ist groß, dass es in Zukunft möglich sein wird, auf Organspenden zu verzichten und Nieren oder Herzen zu drucken. Prof. Tal Dvir, Universität Tel Aviv, druckte bereits 2019 die Nachbildung eines menschlichen Herzens aus natürlichem Gewebe; allerdings war es nur 2,5 cm groß, hatte keine Blutgefäße und konnte nicht schlagen. Bis komplexe, im Körper funktionierende Organe transplantiert werden können, ist es noch ein langer Weg, aber die Forschung arbeitet fieberhaft daran.

„Gefäße sind die Königsklasse.“

Prof. Dr. Petra Klugers Forschungsgebiet ist „Tissue Engineering“, die künstliche Herstellung von biologischem Gewebe. Ein Interview über ihre Erkenntnisse – und die Chancen für unsere Gesundheit.

Wie drucken Sie menschliches Gewebe?
Für medizinische Anwendungen habe ich optimalerweise Zellen des Patienten, da diese nicht abgestoßen werden. Zusätzlich wird ein Stützmaterial benötigt. Gemischt bringe ich diese Biotinte in den Drucker ein, Zellen und Stützmaterial gemischt ergeben die Biotinte, die nun durch den Drucker verarbeitet werden kann. Der druckt dann ein bisschen wie bei einer Spritze kleine Würstchen aus. Wir nutzen dieses extrusionsbasierte Verfahren, weil es sich für größere Strukturen besser eignet als das Tintenstrahlverfahren, das auch angewandt wird.

Was ist eigentlich Biotinte?
Biotinte besteht meistens aus Zellen und Hydrogel, das aus ganz unterschiedlichen Materialien bestehen kann, z. B. Gelatine oder Alginat, einem Stoff aus Algen. Die Hydrogele können viel Wasser binden, ähnlich wie Gummibärchen, die in Wasser aufquellen. Auch gesunde menschliche Haut speichert ja viel Feuchtigkeit.

Ist es bereits möglich, Menschen nach einem Unfall oder Verbrennungen, künstliche Haut aus dem 3D-Biodrucker zu verpflanzen?
Menschen wird schon seit Jahrzehnten künstlich gezüchtete Haut eingesetzt, nur nicht immer aus dem Drucker. Der bietet zwar eine höhere Reproduzierbarkeit, aber ich brauche ihn nicht unbedingt, denn unsere drei Hautschichten sind bei Weitem nicht so komplex wie ein Herz oder eine Niere. Wobei ich sagen muss: Bei Kosmetik- und Medizinversuchen werden meist nur obere Hautschichten genutzt; in meinem Labor in Reutlingen machen wir auch das Unterhautfettgewebe dazu, denn das hat viele spannende Eigenschaften, weil es sowohl Signalstoffe ausschüttet als auch Giftstoffe einlagern kann.

Können Sie schon Blutgefäße drucken?
Gefäße sind die Königsklasse und eine noch nicht gelöste Herausforderung in diesem Bereich der Gewebezüchtung. Wir können einzelne größere Gefäße herstellen, also ein Gefäß an den Füßen oder so, die gibt es schon als Medizinprodukte. Aber anders als bei Knorpeln oder der Haut bräuchten wir bei fast jedem Organ Gefäße als Versorgungssystem: einen Baum von Gefäßen mit immer feineren Verästelungen, die unter einem Millimeter klein sind. Die würden wir mit einer Pinzette zerdrücken. Deshalb hoffen wir so sehr auf das Drucken. Sie können am Computer gezeichnet werden. Aus einem Druckkopf käme die Tinte für Gefäße, aus zwei anderen Fettzellen und Fibroblasten, und dann wird das Gewebe schichtweise mit Blutgefäßen integriert aufgebaut, so wie man es aus dem Fernsehen kennt. Aber dann haben Sie immer noch das Problem wie mit dem bereits gedruckten Herzen aus den Medien …

… dem in Israel 3D-gedruckten, das auch als größere Version nicht hätte eingepflanzt werden können.
Ja, denn mit der Struktur haben Sie noch lange nicht die Funktion. Die Zellen müssen nicht nur da sein, sondern in einem geschlossenen Kreislaufsystem zusammenspielen, damit ein Herz schlagen und kontrahieren kann. Das hat dieses kleine, gedruckte Herz nicht gekonnt.

„Damit ein gedrucktes Herz schlagen und kontrahieren kann, müssen die Zellen nicht nur da sein, sondern auch zusammenspielen.“

Doch um mehr Menschen eine Transplantation und ein lebenswertes Leben zu ermöglichen, wird an der Herstellung von Nieren, Lebern oder Herzen intensiv geforscht. Liegt die Verwirklichung in weiter Ferne?
Wir machen durchaus Fortschritte. Einfache, hohle Organe wie ein Harnleiter und eine Blase sind mit Drucktechniken möglich. Die komplexen Organe hat die Natur nicht umsonst über viele Jahrmillionen entwickelt. Eine Niere ist noch komplizierter als ein Herz. Für eine Niere oder eine Leber brauche ich viel mehr Zellen für Blutgefäße, Gallenkanälchen, also viele unterschiedliche Strukturen. Deswegen wird man zuerst Teile von Organen wie z. B. einen der vier Lappen der Leber hinkriegen.

Prof. Dr. Petra Kluger war bis 2017 Leiterin der Abteilung Zell- und Tissue Engineering am Fraunhofer-Institut für Grenzflächen und Bioverfahrenstechnik in Stuttgart und ist seitdem Professorin für Tissue Engineering and Biofabrication an der Universität Reutlingen sowie Vizepräsidentin Forschung an der Hochschule Reutlingen. Ihre Spezialgebiete sind 3D-Bioprinting Haut & Organe für die Medizin und Biofabrikation von klimafreundlich hergestelltem, gesundem Fleisch.

Heidelberger Forschern ist es gelungen, insulinproduzierende Zellen 3D zu drucken – eine große Hoffnung für Menschen, deren Bauchspeicheldrüsen zu wenig Insulin produzieren, z. B. Diabetiker. Wie können diese in geschädigte Organe eingebracht werden?
Das ist natürlich spannend, wie die punktgenau dort hinkommen. Beim Herzinfarkt wurden auch schon Stammzellen gespritzt und nachher ging es dem Herz besser, aber keiner weiß, warum und wo diese Zellen hin sind. Man muss immer gut überlegen, ob und wie etwas zu nutzen ist, vor allem in Zusammenarbeit mit Medizinern. Denn es gibt tolle wissenschaftliche Meilensteine, doch in die Anwendung kommt meistens nur ein Bruchteil.

Sie selbst haben nach ihren langen Erfahrungen im Bioprinting noch einen anderen Aspekt entdeckt: die Herstellung von künstlichem Fleisch. Gedrucktes könnte Tierwohl und Klima dienen. Wie stellen Sie es her und schmeckt es auch?
Bei meiner Forschung mit menschlichen Zellen haben wir uns stark auf Fettgewebe fokussiert und Fett braucht es auch beim Fleisch. Mit Blick auf so relevante, sinnvolle Themen wie Ernährung und Klima haben wir uns noch mal tiefer auseinandergesetzt und arbeiten nun mit unserer Expertise daran: Wir drucken tierische Zellen und pflanzliche Biomaterialien. Das Ergebnis sieht noch nicht aus wie Fleisch und schmeckt noch nicht wie Fleisch, aber es hat schon Bestandteile, die man essen könnte.

Kann künstliches Fleisch sogar gesünder sein, z. B. an den individuellen Nährstoffbedarf angepasst?
Da ist wirklich noch viel Pionierarbeit zu leisten, aber wenn man grundlegend verstanden hat, wie alles zusammenpassen kann, dann steht der individuell maßgefertigten Fleischproduktion nichts im Wege. Man könnte Folsäure für Schwangere supplementieren, Vitamin D reinmischen oder Fleisch für Sportler entwickeln – der Fantasie sind hier wirklich kaum Grenzen gesetzt.

„Meine Vision für die Zukunft: Drucker direkt im Operationssaal als zusätzliches Tool.“

In der Medizin könnte Bioprinting künftig mehr teure Leistungen kostengünstiger gestalten – auch dass Therapien mit weniger Schmerzen und besseren Heilungschancen verbunden sind?
Ich stelle mir vor, dass man in Zukunft womöglich direkt im Operationssaal etwas entfernt und etwas dazu drucken kann, z. B. eine Wunde direkt zudruckt. Meine Vision wäre, dass man diesen Drucker als zusätzliches Tool im Operationssaal hat. Oder wo sonst die Transplantat-Box ankommt, wird in einem Druckverfahren innerhalb kürzester Zeit etwas hergestellt, am besten noch direkt mit den frisch isolierten Zellen vom Patienten.

Könnte das bis, sagen wir mal, 2040 Wirklichkeit sein?
Es wäre cool, wenn wir es bis dahin schaffen könnten, menschliche Organe zu drucken.

Kann es in ferner Zukunft möglich sein, alle Teile zu drucken, also quasi einen ganzen Menschen?
Dann müsste man ja auch Bewusstsein verpflanzen. Das finde ich gruselig und technisch schwierig, zumindest mit meinem beschränkten Horizont – und der ist schon visionärer als manch anderer.


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